Vertrauen zurückgewinnen – Vorschläge für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

08.09.2022

ver.di-Positionspapier zum Öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Ein Diskussionsbeitrag von Christoph Schmitz

Berlin, 8. September 2022

Die Öffentlich-Rechtlichen stehen stark in der Kritik. Ging es bei den Enthüllungen über vermeintliche Vetternwirtschaft und Beitragsverschwendung an der Spitze des Rundfunk Berlin-Brandenburg sowie über das grandiose Scheitern der zuständigen Aufsicht zunächst um Fragen struktureller Dysfunktion und Machtmissbrauch, so wird inzwischen mit dem Vorwurf der Hofberichterstattung beim Nord deutschen Rundfunk auch die journalistische Unabhängigkeit in Frage gestellt. Breite Kritik ist angesichts der bekannt gewordenen Fehltritte durchaus berechtigt. In einer Zeit jedoch, in der die Öffentlich-Rechtlichen wegen der populistischen Instrumentalisierung der Beitragserhöhung, der anstehen den Auftragsreform sowie dem Kahlschlag an den Rundfunkstrukturen in unseren Nachbarländern bereits enorm unter Druck stehen, müssen die Konsequenzen aus den aktuellen Fällen rasch und
nachhaltig gezogen werden.

Für ver.di steht fest: Starke öffentlich-rechtliche Medien sind ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Demokratie. Die Kolleg*innen in den Sendern stellen tagtäglich die journalistische Kompetenz des unabhängig finanzierten Systems unter Beweis, was sich auch in hohen Vertrauenswerten unter den Nutzer*innen widerspiegelt. Die aktuellen Enthüllungen verdeutlichen jedoch Fehlentwicklungen, die schleunigst aufgearbeitet und behoben werden müssen, um nachhaltigen Schaden an der Glaubwürdigkeit von ARD, ZDF und Deutschlandradio abzuwenden.

An öffentlich finanzierte Organisationen werden zu recht hohe Ansprüche hinsichtlich Transparenz, Integrität und auch an ihre journalistische Unabhängigkeit gestellt. Um dem gerecht zu werden, sehen wir massiven Handlungsbedarf – auch wenn die aktuelle Debatte über die ARD sich hauptsächlich auf die vermeintlichen Verstöße in der Leitung des RBB bzw. punktuell auf NDR, MDR und BR bezieht – in der Struktur aller öffentlich-rechtlichen Sender.


Hohe Standards für saubere Geschäftsführung etablieren


Wir setzen uns dafür ein, dass in den Sendern effiziente und unabhängige Compliance-Strukturen eingerichtet werden, die höchsten Standards genügen und einheitlich bei allen Öffentlich-Rechtlichen Anstalten gelten. Die Beschäftigten wie auch die Mitglieder von Rundfunk- und Verwaltungsräten sollten potenzielle Interessenkollisionen präventiv offenlegen und der Prüfung übergeben. Auch das innerbetriebliche wirtschaftliche Controlling gilt es auszubauen. Dass Intendant*innen Rechenschaft über ihre Ausgaben ablegen und wirksam kontrolliert werden, sollte genauso selbstverständlich werden wie in allen anderen Hierarchieebenen. Die Ausgaben eines Senders sind gegenüber Aufsichtsstrukturen und der Öffentlichkeit umfassend transparent zu machen. Wir plädieren auch dafür, dass die Mitarbeiter*innen eines Senders bei finanzwirksamen und anderen relevanten Entscheidungen mitbestimmen sollten – Feste und
Freie gleichermaßen.

Rundfunk- und Verwaltungsrat in ihrer Kontrollfunktion stärken

Wir plädieren dafür, die Kontrollrechte der Aufsichtsgremien auszuweiten und etwa die Berichte der wünschenswerterweise mehrmals pro Beitragsperiode durchgeführten Prüfungen der Landesrechnungshöfe auch den Verwaltungsräten vorzulegen. Insbesondere für die Kontrolle der Senderfinanzen ist professionelle Expertise eine sinnvolle Voraussetzung. Wo dies noch nicht vorgeschrieben ist, sollte mindestens ein Teil des Verwaltungsrats aus ständigen Sachverständigen bestehen. Mitarbeitende sollten stets fester Bestandteil des Verwaltungsrats werden. Regel
mäßige Schulungen sowie zusätzliche Mittel, um bei Bedarf externe Gutachten in Auftrag zu geben, können die Kontrollfunktion der Rundfunk- und Verwaltungsräte sinnvoll stärken.

Umfassende Gehälter- und Ausgabentransparenz herstellen

Wir setzen uns dafür ein, die Gehälter der Geschäftsleitung in den öffentlich-rechtlichen Medienhäusern transparent und inklusive aller Bezüge bspw. aus mit der Position verbundenen Mandaten proaktiv zu veröffentlichen. Bonussysteme sollten keine Anwendung finden. Die Verwaltungsräte müssen in der Lage sein, angemessene und nachvollziehbare Verhaltensgrundsätze für Intendant*innen und Direktor*innen aufzustellen und diese dann transparent kontrollieren.

Innere Rundfunkfreiheit stärken

Die Unabhängigkeit der Berichterstattung von jeglicher äußerer Einflussnahme ist Grundvoraussetzung für die Glaubwürdigkeit und Seriosität der Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen. Wenn Zweifel an redaktionellen Entscheidungen aufkommen, müssen die Redaktionsausschüsse als verlässliche Kontrollinstanzen ansprechbar sein. Um Missstände dann auch zu beseitigen, braucht es Augenhöhe und ein vertrauensvolles Klima in den Redaktionen.

Um dem Vorwurf politischer Nähe vorzubeugen, müssen Verhaltensrichtlinien streng eingehalten und im Zweifel Compliance-Beauftragte einbezogen werden. Karenzzeiten für Jobwechsel zwischen Politik und Journalismus, vor allem bei Direktor*innen und Intendant*innen, würden die Bedeutung politischer Unabhängigkeit der Rundfunkanstalten unterstreichen.

Journalistische Qualität in den Mittelpunkt stellen

Der seit Jahren andauernde, von der KEF geforderte Abbau journalistischer Stellen muss rückgängig gemacht werden, denn Nutzen und Glaubwürdigkeit öffentlich-rechtlicher Medien hängen zentral von ihrer journalistischen Leistung ab. Der Bedarf an umfangreicher Berichterstattung, kenntnisreichen Hintergründen und Einordnung ist in der Gesellschaft groß. Entsprechend der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts vom August 2021 muss eine auskömmliche Finanzierung der Sender insbesondere auch die nötigen personellen und technischen Ressourcen berücksichtigen, die erforderlich sind, um im digitalen Raum ein öffentlich-rechtliches Gegengewicht zu den marktbeherrschenden Plattformen zu bilden und den gesellschaftlichen Diskurs entsprechend veränderter Mediennutzung weiter befördern zu können.

Bei aller Notwendigkeit, durch Sportübertragungen sonst schwer zu erreichende Zielgruppen zu binden, sollten jedoch ausufernde Kosten für Sportlizenzen eingehegt und stattdessen in die Erfüllung des Programmauftrags bei Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung umgeschichtet werden.

Sender und Programm demokratisieren

Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Sender ist es, ein vielfältiges Programm für die gesamte Bevölkerung anzubieten. Programmvielfalt in den Hauptnutzungszeiten sollte daher das Ziel der Programmverantwortlichen ebenso sein wie die Schaffung gleicher Einstiegsmöglichkeiten und Aufstiegschancen für alle Bevölkerungsteile das Ziel der Personalpolitik. In allen Redaktionen und Abteilungen soll soziale und kulturelle Diversität gelebt werden. Gute Arbeitsbedingungen und gleiche Mitbestimmungsrechte für feste wie für freie Mitarbeitende müssen in allen Sendern zum Standard werden.

Auch der Vorwurf mangelnder Offenheit der Programmmacher*innen für die Wahrnehmung der Nutzer*innen ist für die Akzeptanz der Inhalte und des öffentlich-rechtlichen Systems insgesamt abträglich. Um sich ihrer Auftragserfüllung rückzuversichern, sollten Redaktionen über ihre Programminhalte mit dem Publikum regelmäßig in einen qualifizierten Dialog treten.

 

In den aktuellen Fällen wie abseits davon: Die Rundfunkanstalten sollten ihr Möglichstes dazu beitragen, die gegen sie erhobenen Vorwürfe schnell und umfassend selbst aufzuklären. Auch die Inten dant*innen sind gefragt, nun aktiv in die Diskussion mit der Öffentlichkeit zu gehen, sich vor ihre Beschäftigten zu stellen und entschieden für das öffentlich-rechtliche System zu streiten. Die Debatte muss darauf zielen, die Öffentlich-Rechtlichen zukunftsfest neu aufzustellen
– und Vertrauen, dasderzeit mehr als angekratzt ist, zurückzugewinnen.