Strafrechtsreform zur Abschaffung von § 353d Nr. 3 StGB nutzen

11.01.2024

Gemeinsame Stellungnahme der Organisationen:
 Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.
 Netzwerk Recherche e.V.
 Deutscher Journalisten-Verband
 Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju in ver.di)
 Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V.
 Reporter ohne Grenzen e.V.
 Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.
Der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien enthält den Auftrag, das
Strafgesetzbuch systematisch auf Handhabbarkeit, Berechtigung und
Wertungswidersprüche zu überprüfen. Dabei soll ein Fokus auf historisch überholten
Straftatbeständen, der Modernisierung des Strafrechts und der schnellen Entlastung
der Justiz liegen.1 Das Bundesministerium der Justiz hat kürzlich Eckpunkte für die
anstehende Reform vorgelegt.2 Jedenfalls an einer Stelle enthält der Vorschlag aus
Sicht der Unterzeichnenden eine erhebliche Lücke: Der Gesetzgeber sollte die Reform
zur Abschaffung von § 353d Nr. 3 StGB nutzen, jedenfalls aber den Straftatbestand
an die zwingenden Vorgaben des Grundgesetzes und der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) anpassen und eine Ausnahme für
Medienschaffende vorsehen. Die Norm richtet sich nach ihrer Entstehungsgeschichte
in erster Linie gegen die Presse, wird schon seit langem kritisiert und aktuell im
Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Gerichtsbeschlüssen zur Letzten
Generation diskutiert.

Nach § 353d Nr. 3 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe
bestraft, wer den Wortlaut der Anklageschrift oder anderer amtlicher Dokumente eines
Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Disziplinarverfahrens ganz oder
in wesentlichen Teilen öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert
worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist. Die Norm soll Verfahrensbeteiligte
(Laienrichter und Zeugen) davor schützen, durch die vorzeitige Veröffentlichung
amtlicher Schriftstücke in ihrer Unbefangenheit beeinträchtigt zu werden, sowie die
Persönlichkeitsrechte der vom Verfahren Betroffenen wahren.4 Eine Feststellung, ob
diese Schutzgüter im Einzelfall überhaupt betroffen sind, oder eine Abwägung, etwa
mit dem für die Medien streitenden öffentlichen Interesse an der Veröffentlichung,
sieht sie nicht vor.

§ 353d Nr. 3 StGB greift damit in die Pressefreiheit ein. Das strikte
Veröffentlichungsverbot unter Androhung einer Freiheitsstrafe entfaltet eine
erhebliche Abschreckungswirkung für die Presseberichterstattung, verstärkt durch
den unklaren Anwendungsbereich der Norm. Was „amtliche Dokumente“ sind,5
ist ebenso umstritten wie die Fragen, wann ein Verfahren abgeschlossen6
ist oder eine Veröffentlichung in „wesentlichen Teilen“ erfolgt.7 Das Veröffentlichungsverbot kann
demgegenüber seinen Schutzzweck kaum erreichen. Die Norm verbietet allein die
Wiedergabe im Wortlaut, die sinngemäße Wiedergabe ist Medien hingegen gestattet.8
Gerade die wortlautgetreue Veröffentlichung gewährleistet in Fällen von großem
öffentlichen Interesse die sachliche und faktenbasierte Auseinandersetzung mit den
Akteninhalten. Darüber hinaus gehört es gerade zum Kern journalistischer
Sorgfaltspflichten, die Persönlichkeitsrechte von Betroffenen zu schützen und eine
Abwägung im Einzelfall zu treffen, ob und unter welchen Umständen die
Veröffentlichung gerechtfertigt ist, etwa durch umfangreiche Anonymisierungen.

Diese über zivilrechtliche Ansprüche abgesicherte Pflicht besteht unabhängig von der
Strafbarkeit nach § 353d Nr. 3 StGB. Eine Schutzlücke droht daher nicht.
Dementsprechend forderten bereits vor mehr als zehn Jahren Medienverbände9
sowie die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen10 und der FDP11 die Abschaffung
der Norm. Die Einschätzung der ehemaligen Bundesjustizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, wonach die Norm korrekte Berichterstattung
kriminalisiere und es zugleich höchst fraglich sei, ob sie das Ziel des Gesetzgebers
erreichen könne,12 trifft weiter zu. Zwischenzeitlich hat zudem der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mehrfach entschieden, dass eine
Verurteilung von Medienangehörigen wegen der Veröffentlichung von Dokumenten
aus Strafverfahren gegen die EMRK verstößt, wenn die Gerichte zuvor keine
Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung oder der Unschuldsvermutung festgestellt
und mit den Rechten der Presse abgewogen haben.13 Auch der Bundesgerichtshof
äußerte kürzlich Zweifel, ob die Norm verfassungs- und konventionsmäßig ist.14
In der Gesamtschau ist jedenfalls die Anpassung von § 353d Nr. 3 StGB an die
Gewährleistungen der Pressefreiheit nicht nur rechtspolitisch geboten, sondern auch
verfassungsrechtlich zwingend.

Für die Fußnoten siehe die PDF