Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Whistleblower Richtlinie (HinSchG-E)

16.05.2022

ARD Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
BDZV Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger
Deutschlandradio
DJV Deutscher Journalisten-Verband
dju Deutsche Journalisten- und Journalistinnen-Union
Deutscher Presserat
MVFP Medienverband der freien Presse
VAUNET Verband Privater Medien
ZDF Zweites Deutsches Fernsehen

Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Whistleblower Richtlinie (HinSchG-E)

Das Medienbündnis dankt für die Gelegenheit, die beiliegende Stellungnahme einzureichen. 

Die Bemühungen um eine regulatorische Absicherung des Schutzes von Whistleblowern sindim Grundsatz positiv zu bewerten. Dieser Schutz sichert auch investigative Recherchen von Medien ab, denn der Zugang zu Informanten ist ganz wesentlich für die Arbeit der Medien. Das BVerfG geht davon aus, dass die Medienfreiheiten auch das Verhältnis zwischen Medien und Informanten schützt. Bereits in der Spiegel-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Bedeutung von privaten Hinweisgebern für die Arbeit der Medien herausgestellt; dies ist seither ständige Rechtsprechung des BVerfG (vgl. BVerfG,
NJW 2015, 3430):

„Die in Art. 5 GG gesicherte Eigenständigkeit der Presse reicht von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen (BVerfGE 10, 118 [121]; 12, 205 [260]). Deshalb gehört zur Pressefreiheit auch ein gewisser Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten Informanten. Er ist unentbehrlich, da die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich darauf verlassen kann, dass das "Redaktionsgeheimnis" gewahrt
bleibt.“ (BVerfGE 20, 162, 176).

Der Gewährleistung der Presse- und Medienfreiheit, die in erster Linie durch die Mitgliedstaaten sicherzustellen ist, hat die „Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ (WBRL) durchaus Rechnung getragen. In Art.15 II der WBRL heißt es explizit:

„Die Regelung zur Offenlegung (d. h. wann eine hinweisgebende Person Informationen über einen Verstoß offenlegen darf) gilt nicht in Fällen, in denen eine Person auf der Grundlage spezifischer nationaler Bestimmungen, die ein Schutzsystem für die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit bilden, Informationen unmittelbar gegenüber der Presse offenlegt.“ Flankiert wird der Schutz der Meinungsäußerungs-
und Informationsfreiheit in den Erwägungsgründen 45 und 46 der WBRL.

Im Referentenentwurf wurde diese klare Vorgabe weder aufgegriffen, noch finden sich derlei
Erwägungen wieder. Vielmehr heißt es in der Begründung auf S. 34: Der Gang von
Hinweisgeberinnen oder Hinweisgebern an die Öffentlichkeit (zum Beispiel über soziale
Netzwerke oder die Medien) wird nur in bestimmten Fällen geschützt, zum Beispiel dann, wenn
eine externe Meldung an die für diese Meldung zuständige Behörde fruchtlos geblieben ist.

Eine korrekte Umsetzung der Richtlinie verlangt es, dass der Schutz von Hinweisgebenden dem Anwendungsbereich der Pressefreiheit folgt und den Regelungsgehalt von Art. 15 II der WBRL übernimmt. Gleichzeitig muss verhindert werden, dass im Wege einer möglichen „Fernwirkung“ die geplante  Neuregelung die von Verfassung wegen gebotenen, bewährten presserechtlichen Abwägungen und Wertungen im Umgang mit Informationen, die der Presse von Hinweisgebenden zugespielt wurden, eine Veränderung oder gar Beschränkung erfahren. Dasselbe gilt für die heute bereits bestehenden presserechtlichen Auskunftsansprüche, die nicht durch neue Geheimhaltungsbefugnisse, wie sie im Meldeverfahren vorgesehen sind,geschmälert werden dürfen.

Der aktuellen Formulierung des Referentenentwurfs zufolge ist ansonsten zu befürchten, dass der Schutz von Hinweisgebenden lückenhaft ist, hinter dem Status Quo zurückbleiben könnte und damit dem Regulierungsziel der Richtlinie widersprechen würde, was im Folgenden aufgezeigt werden soll.

1. Der Ansatz, die ausschließliche Zuständigkeit für die Aufdeckung von Verstößen bei Behörden anzusiedeln, greift zu kurz; diese sind evident für die strafrechtliche oder sonstige Sanktionierung des maßgeblichen Verstoßes verantwortlich. Damit wird aber den Bedürfnissen der Zivilgesellschaft nicht ausreichend Genüge getan. Vielmehr führt dies zu einer faktischen, ganz erheblichen Verkürzung des grundgesetzlich geschützten
öffentlichen Interesses und damit des Schutzes der Öffentlichkeit. Man denke an die Aufklärung des NSU-Komplexes, die weder strafprozessual noch in Untersuchungsausschüssen vollständig herbeigeführt werden konnte, sondern in starkem Maße durch die Auswertung (z. T. geheimer) Unterlagen und Hinweise durch die Medien geschah. Dies gilt auch für Missstände in nichtstaatlichen Bereichen, über diese zu berichten ebenfalls Aufgabe der Medien ist (BVerfGE 60, 234 „Kredithaie“). Der „Dieselskandal“ betrifft z. B. nicht nur die Strafverfolgungsbehörden und andere Behörden, sondern Millionen von Verbraucherinnen und Verbrauchern, die entsprechende Fahrzeuge gekauft haben und wegen der Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit letztlich die Gesellschaft insgesamt. Die Nutzung interner und externe Meldewege und die Information der Öffentlichkeit können und sollten daher nicht gegeneinander ausgespielt werden, weil beides nötig ist, um Missstände effektiv zu bekämpfen.

2. Hinzu kommt, dass das BVerfG selbst im Fall rechtswidrig erlangter Informationen eine Veröffentlichung – selbst durch den, der die Information rechtswidrig beschafft hat – zulässt, wenn dies aufgrund überragenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt ist (BVerfGE 66, 116 „Der Aufmacher“). Es kommt dabei immer auf eine einzelfallbezogene Abwägung der gegenüberstehenden Grundrechte an, die pauschale Vorrangregeln ausschließt. Die in § 32 HinSchG-E genannten Ausnahmefälle sind erkennbar zu eng und genügen diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen daher nicht.

3. Der Ansatz begegnet auch insoweit verfassungsrechtlichen Bedenken, als das BVerfGnicht nur den Medien den Schutz von Art. 5 GG im Umgang mit Informantinnen und Informanten zuerkennt. Das BVerfG geht vielmehr davon aus, dass auch auf Seiten des Informanten die Weitergabe von Informationen an ein Medienunternehmen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fällt (BVerfG, NJW 2003, 1109).

4. Der Entwurf bleibt hinter den nach der WBRL eröffneten Möglichkeiten in entscheidenden Punkten zurück. Dies ist insoweit problematisch, als die WBRL einen Mindestschutz festlegt, aber ausdrücklich ein weitergehendes nationales Schutzniveau zulässt und es den Mitgliedstaaten ausdrücklich untersagt, dass die Umsetzung der Richtlinie ein bereits bestehendes Schutzniveau absenkt. Diese Gefahr besteht indes. Dies lässt sich vor allem am sachlichen Anwendungsbereich, den Meldegegenständen, den Meldewegen und dem Verhältnis zum GeschGehG festmachen.
a. Zentral ist hier § 32 HinSchG-E, der den Hinweisgeber bei Offenlegung erst vor Repressalien (vgl. dazu auch die §§ 37 und 40 HinSchG-E) schützt, wenn seine interne/externe Meldung erfolglos war bzw. ein Fall nach Nr. 2 gegeben ist. Ansonsten ist die Offenlegung nicht geschützt, auch wenn der Verstoß nachweisbar vorliegt oder vorgelegen hat.
b. In ihrem Koalitionsvertrag1 setzt sich die aktuelle Bundesregierung als Ziel zur Umsetzung der WBRL:
„Whistleblowerinnen und Whistleblower müssen nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, sondern auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen
Interesse liegt.“

Diesem Ziel wird der Referentenentwurf nicht gerecht.

So wird der Anwendungsbereich der WBRL zwar auf bestimmte Meldegegenstände des deutschen Rechts ausgeweitet: Während die WBRL nur Verstöße in bestimmten europäischen Rechts- und Politikbereichen umfasst, greift der sachliche Anwendungsbereich des HinSchG-E auch bei straf- und bußgeldbewehrten Verstößen. Allerdings erstreckt sich der Anwendungsbereich z. B. nicht auf Sachverhalte unterhalb von eindeutigen Rechtsverstößen sowie auf Verschlusssachen und Fragen der nationalen Sicherheit i. S. v. § 5 Abs. 1 Ziffer 1.

Für Verschlusssachen sollte im Gesetz klargestellt werden, dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zu § 3 Nr. 4 IFG auch hier greift2 und nicht die formelle Einstufung, sondern der materielle Geheimhaltungsgrad nach § 4 SÜG ebenfalls vorliegen muss. Da der niedrigste Geheimhaltungsgrad „nur für den Dienstgebrauch“ in der behördlichen Praxis teilweise sehr großzügig verwendet wird, sollte dieser Geheimhaltungsgrad einer Meldung oder Offenlegung  icht entgegenstehen.

In § 5 Abs. 1 Ziffer 1 führt der HinSchG-E neue unbestimmte Rechtsbegriffe, wie nationale Sicherheit oder wesentliche Sicherheitsinteressen des Staates ein, die in der Praxis zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen werden. Daher sollte das Umsetzungsgesetz den etablierten Begriff des „Staatsgeheimnisses“ aus § 93 StGB verwenden.

Da auch in diesem Bereich Missstände auftreten können, die von erheblichem öffentlichem Interesse sind und zu denen eine Berichterstattung durch die Medien
unverzichtbar ist, sollte auf die Wertungen des GeschGehG zurückgegriffen werden. So erkennt § 5 Ziff. 2 GeschGehG an, dass Veröffentlichungen nicht nur zur Aufdeckung rechtswidriger Handlungen, sondern auch bei sonstigem Fehlverhalten vom Geheimnisschutz ausgenommen sind. Das Umsetzungsgesetz muss daher Schutz nicht nur bei Meldungen über Verstöße gegen Rechtsvorschriften (öffentliche Sicherheit), sondern auch bei Meldungen über legales, aber illegitimes Verhalten (ähnlich der öffentlichen Ordnung) bieten. Fallbeispiele – wie sexuelle Beziehungen in Machtgefällen, Arbeitsbedingungen in Großschlachthöfen oder rechtsextreme Polizeichats – verdeutlichen den Handlungsbedarf.

Ein unzureichender Schutz von Whistleblowern in solchen Fällen erschwert die Aufgabenwahrnehmung durch die Medien. Der sachliche Anwendungsbereich der WBRL orientiert sich an den Kompetenzen der EU. Wegen der beschränkten Gesetzgebungskompetenz ist er auf spezifische Bereiche beschränkt. Diese Logik ist beim Umsetzungsgesetz nicht zwingend. Eine Erstreckung auf Missstände von erheblicher Relevanz wäre möglich und mit Blick auf die Zielsetzung der WBRL und des Koalitionsvertrages, die Medien bei deren Tätigkeit nicht zu beschränken, sondern, im Gegenteil, zu unterstützen, auch geboten; so könnte auch ein Gleichlauf mit dem Wortlaut im GeschGehG erreicht werden. Denkbar wäre auch, den Wortlaut aus § 201 StGB aufzugreifen („Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen“). So wäre auch ein Wertungswiderspruch mit den oben genannten möglichen Folgen vermieden. In jedem Fall muss eine Einschränkung von § 5 GeschGehG – wie sie sich aus § 6 HinSchG-E ergibt – vermieden werden.

c. Der Anwendungsbereich nennt „Verstöße“, nicht aber den „Verdacht von Verstößen“. Der Zeitraum zwischen Verdacht und rechtskräftig festgestelltem Verstoß kann erheblich sein, wie Ermittlungen im Zusammenhang mit Abgasmanipulationen anschaulich zeigen. Whistleblower werden oftmals nicht verbindlich feststellen/beurteilen können, ob es um einen Verdacht oder einen Verstoß geht. Es bestehen somit Zweifel, ob das HinSchG Whistleblower wie im EGMR-Fall
Gawlik/Liechtenstein (Urteil vom 16.02.2021) nun vor Kündigung schützen würde. Im Presserecht wurden für diesen Zeitraum von der Rechtsprechung die Grundsätze der zulässigen Verdachtsberichterstattung entwickelt. Danach sind derartige Veröffentlichungen zweifelsfrei zulässig und unterfallen in gleichem Maße wie eine Tatsachenberichterstattung dem Schutz der Presse- und Rundfunkfreiheit. Auch hier droht ein Wertungswiderspruch. Im Fall Heinisch erwähnte der EGMR, dass das Strafverfahren eingestellt worden sei. Von einer Person, die eine Strafanzeige erstatte, könne allerdings nicht erwartet werden, dass sie vorhersieht, ob eine Ermittlung zu einer Verurteilung führt oder eingestellt wird (Urteil vom 21.07.2011).

d. Der Entwurf fällt auch hinter das Schutzniveau zurück, dass das GeschGehG etabliert hat. Weder wird darauf verwiesen, dass die Medienfreiheiten nicht berührt werden sollen (vgl. § 1 Abs. 3 GeschGehG) noch gibt es eine Ausnahme vom Vorrang interner oder externer Meldewege, wenn die Offenlegung dem Schutz eines berechtigten öffentlichen Interesses verfolgt, wozu auch das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Medienfreiheiten aber auch der Hinweisgeberschutz gehören (§ 5 GeschGehG). Das führt zu Unstimmigkeiten zwischen den beiden Gesetzen und zu Fragen des Verhältnisses der beiden Gesetze zueinander, ist aber auch unter systematischen Gesichtspunkten problematisch, da das Hinweisgeberschutzgesetz ja gerade das Ziel
des Schutzes dieser Personen zum Anliegen hat.

e. Wie in der Gesetzesbegründung zu § 32 HinSchG-E (S. 98) ausgeführt, kann eine Offenlegung von Informationen über „Berichte in den Medien“ erfolgen. In § 32 Abs. 1 S. 1 HinSchG-E spricht der Gesetzestext nicht von „hinweisgebenden Personen“ (siehe §§ 1 Abs. 1, 33 Abs. 1 HinSchG-E), sondern nur allgemein von „Personen, die Informationen über Verstöße offenlegen“. Unter diesen Begriff könnten bei weiter Auslegung auch alle Journalistinnen und Journalisten und Publizistinnen und Publizisten fallen, welche die Information letztendlich veröffentlichen. Wenn beabsichtigt ist, mit § 32 HinSchG-E auch Medienschaffende und deren offenlegende Publikationen zu erfassen, sei darauf verwiesen, dass die Regulierung von Medieninhalten (u. a. veröffentlichte Informationen) der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterliegt (Art. 70 GG).

f. Auch wenn sich der § 32 HinSchG-E nur auf „hinweisgebende Personen“ begrenzen würde, die Regelung relativierende Auswirkungen auf die Berichterstattungsfreiheit haben. In § 32 Abs. 2 HinSchG-E ist „unrichtig“ ein unbestimmter Begriff. Die Norm stellt Hinweisgebenden keine konkretisierenden Kriterien bereit, wonach diese entscheiden können, ab wann eine unrichtige Information vorliegen würde, und das Verbot greift. Hinweisgebende könnten daher eher dazu tendieren, im Zweifel (obwohl objektiv nicht berechtigt) auf eine Offenlegung zu verzichten. Dies könnte selbst bei Vorliegen der schutzgebenden Kriterien des § 32 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG-E dazu führen, dass Informationen nicht offengelegt werden. Ohne diese Erweiterungen steht de facto eine Verkürzung des Status Quo zu befürchten, mit den geschilderten Folgen, insbesondere einem erschwerten Zugang zu Informanten.

5. Aufgrund des Schutzzwecks des Gesetzes, der in § 1 HinSchG-E und überdies sogar im Namen des Gesetzes seinen Niederschlag finden soll, erscheint es systemfremd, in das Gesetz Vorschriften aufzunehmen, die den Hinweisgeber mit Sanktionen belegen (z. B. §§ 32 Abs. 2, 38, 40 Abs. 1 HinSchG-E). Dies ist auch unnötig, da diese Verhaltensweisen bereits nach geltendem Recht untersagt sind (z. B. nach dem Geschäftsgeheimnisschutzgesetz, §§ 164, 186 ff. StGB und zivilrechtlich gem. §§ 823, 824 und 1004 BGB), so dass auch den Vorgaben des Art. 23 Abs. 2 WBRL hinreichend Rechnung getragen ist. Die Sanktionsbewährung kann vielmehr zur Folge haben, dass sich potenzielle Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber aus Furcht vor Repressalien gegen eine Offenlegung von Missständen entscheiden, um dieses Risiko zu vermeiden.

6. Im Vergleich zum ersten Entwurf eines Umsetzungsgesetzes muss der Verstoß gemäß § 32 Abs. 1 Ziffer 2a HinSchG-E nunmehr wegen eines Notfalls, der Gefahr irreversibler Schäden oder vergleichbarer Umstände eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen. Damit erschwert der HinSchG-E die Offenlegung und den direkten Gang an die Öffentlichkeit unsachgemäß. Ob beispielsweise eine Offenlegung über die nachrichtendienstliche Überwachung der Massenkommunikation, die offensichtlich eine Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellt, auch wegen eines
Notfalls oder der Gefahr irreversibler Schäden erfolgt und somit vom Gesetz erfasst ist, erscheint unklar.

7. Da keine Pflicht zur Ermöglichung anonymer Hinweise etabliert wird (§ 16 Abs. 1 S. 3 HinSchG-E), dürfte gleichzeitig die Hürde für Hinweisgebende schwerer zu nehmen sein, wenn sie bei ihrem Arbeitgeber ihre Identität im internen/externen Meldeweg preisgeben müssen, bevor sie sich später an die Öffentlichkeit wenden. Dies lässt sich beispielsweise an der sehr mühsamen Aufdeckung der Missstände im Pflegebereich erkennen, die ohne anonyme Hinweisgeber schlechthin undenkbar gewesen wäre.

Obwohl sogar die Begründung des HinSchG-E auf S. 94 festhält, dass auch anonyme Meldungen ebenfalls zum Schutz durch das Gesetz führen sollen, wenndie meldende Person anschließend identifiziert wird, erschwert der HinSchG-E anonyme Meldungen. Denn gemäß § 16 Abs. 1 S. 3 HinSchG-E müssen interne Meldestellen die Abgabe anonymer Meldungen nicht ermöglichen. Für externe Meldestellen besteht gem. § 27 Abs. (1) S. 3 vorbehaltlich spezialgesetzlicher Regelungen sogar überhaupt keine Verpflichtung, anonyme Meldungen zu bearbeiten. Sofern es um strafrechtlich relevante Sachverhalte geht, steht dieser Regelung bereits das Legalitätsprinzip entgegen. Da der HinSchG-E die Bearbeitung anonymer Meldungen de facto ins Belieben der Meldestellen stellt, setzt er ein verheerendes Anreizsystem. Das HinSchG-E sollte anonyme Meldungen vielmehr fördern. Denn anonyme Meldungen erfolgen aus einer anderen Motivlage heraus als namentliche. Eine anonyme Hinweisgeberin möchte gerade nicht Teil des Prozesses werden, sondern ihn anstoßen. Vorgänge wie die Insolvenz der Wirecard AG oder der Abgasskandal im VW-Konzern zeigen, was für große volkswirtschaftliche Schäden durch Whistleblower verhindert werden könnten.

8. Die Schadensersatzregelungen tragen der speziellen Situation von Whistleblowerinnen und Whistleblowern nicht ausreichend Rechnung. So sollte § 37 HinSchG-E in Anlehnung an § 83 Abs. 2 BDSG um eine Regelung ergänzt werden, die auch seelische und weitere Nicht-Vermögensschäden ersetzt. Whistleblowerinnen und Whistleblower laufen regelmäßig Gefahr, als „Nestbeschmutzer“ oder „Verräter“ angesehen zu werden. Dieser strukturell angelegten Gefahr sollte das Gesetz begegnen, indem es einen Anspruch auf Ersatz der daraus resultierenden Schäden bietet.

Wir regen daher folgende Ergänzungen an:

  • Eine klarstellende Ergänzung wie in § 1 Abs. 3 GeschGehG, dass dieses Gesetz die
    Medienfreiheiten unberührt lässt.
  • Erstreckung des sachlichen Anwendungsbereiches in § 2 Abs. 1 Ziffer 2 HinSchG-E
    auf sämtliche bußgeldbewehrte Verstöße.
  • Erstreckung des Anwendungsbereiches auf legales, aber illegitimes Verhalten.
  • Erstreckung des Anwendungsbereiches auf die besonders praxisrelevanten Verstöße des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.
  • Beschränkung des § 5 Abs. 1 Ziffer 1 HinSchG-E auf Staatsgeheimnisse im Sinne von § 93 StGB.
  • In Anlehnung an § 201 Abs. 2 S. 2 StGB, der die Rechtsprechung des BVerfG zur Veröffentlichung rechtswidrig erlangter Informationen umsetzt, sollte in § 32 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG-E eine neue Unterziffer ergänzt werden, die wie folgt lauten könnte: „d) die Offenlegung, wenn die öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wurde“.
  • Die Regelungen in §§ 32 Abs. 2, 38, 40 Abs. 1 HinSchG-E zu streichen.
  •  Interne und externe Meldestellen sollen zur Abgabe, Annahme und Bearbeitung anonymer Meldungen angehalten werden.
  • Streichung der weiteren Voraussetzungen und Beschränkung von § 32 Abs. 1 Ziffer 2a HinSchG-E auf Gefährdung des öffentlichen Interesses.
  • Erweiterung von § 37 HinSchG-E in Anlehnung an § 83 Abs. 2 BDSG auf den Ersatz
    von Nicht-Vermögensschäden.